Der Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht ist ein Rückschritt
Der Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht lässt die Urheber*innen im Regen steht. Passend dazu war das Wetter auf einer Demonstration vor dem Reichstag: es regnete in Strömen. Trotzdem waren mehr als 100 Urheber*innen erschienen, um auf Leitern zu steigen, und so symbolisch in einem treffenden Bild gleiche Augenhöhe bei individuellen wie kollektivvertraglichen Vereinbarungen anzumahnen. Denn davon sind wir nach dem Salto rückwärts des Bundesjustizministers Maas, den er offensichtlich auf Druck von oben vornahm, noch immer weit entfernt. Es bleibt zu hoffen, dass in der parlamentarischen Beratung, die im Juni beginnt, noch Korrekturen erfolgen und sich rechtswissenschaftlich versierte Argumente durchsetzen.
Es ist nicht zu verstehen, dass der Regierungsentwurf der Bundesregierung zum Urhebervertragsrecht so sehr hinter dem Referentenentwurf des BMJV zurückfällt. Der Regierungsentwurf, den das Kabinett am 16.3. d.J. durchgewunken hat, ist für Urheber*innen kein Verbesserungs-, sondern ein Verschlimmbesserungsgesetz.
Seit einem halben Jahrhundert betont der BGH in den einschlägigen Urteilen zum Urheberrecht, dass die Werkschöpfer*innen an den Erträgen und Vorteilen aus jeglicher Nutzung zu beteiligen sind. Da dieser elementare Grundsatz bislang nicht gesetzlich verankert ist, wird davon in der individuellen Vertragspraxis in vielen Bereichen der Kulturwirtschaft abgewichen. Dies ist seit langem bekannt. Enquetekommissionen des Deutschen Bundestags haben es festgestellt. Der Koalitionsvertrag, den CDU/CSU und SPD 2013 schlossen, versprach Abhilfe, etwa hinsichtlich der Verbindlichkeit von Schlichtungsergebnissen.
Alle unabhängigen rechtswissenschaftlichen Untersuchungen haben als Grund für die Anwendungsdefizite des bereits 2002 nur unzureichend novellierten Urhebervertragsrechts die fehlende Verhandlungs- und Abschlussbereitschaft gerade der großen Verwertergruppen ausgemacht. Dabei können sie in der Verhandlung Gemeinsamer Vergütungsregeln selbst mitgestalten, wie eine angemessene Vergütung praxisgerecht auszugestalten ist. Hier liegt der Schlüssel zur Lösung fast aller von Verwerterseite gerne popanzhaft aufgebauschter Probleme. Den Grundsatz, verstärkt Anreize zum Abschluss von Vergütungsregeln zu setzen, hatte der rechtswissenschaftliche Kölner Entwurf vorgeschlagen und der Referentenentwurf des BMJV griff ihn zurecht auf. Der Regierungsentwurf lässt diese dringend notwendigen Anreize jedoch außer Acht.
Aufgrund unklarer Regelungen in § 36 UrhG zum Ablauf und zur Frage der Passivlegitimation (etwa von Sendern in der Auftragsproduktion) gelingt es gerade den großen Verwertern immer wieder, Verhandlungen über Gemeinsame Vergütungsregeln entweder zu umgehen oder über Jahre durch ablenkende Torpedoklagen im Wege negativer Feststellungsklagen zu verschleppen. Selbst wenn es zur Verhandlung von Vergütungsregeln kommt, müssen sich die Berufsverbände mit dem ungerechtfertigten Vorrang von Tarifverträgen in § 36 Abs. 1 Satz 3 UrhG auseinander setzen. Und dies, obwohl z.B. die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in fast allen Branchen der Künste kaum Urheber in repräsentativem Umfang organisiert.
Bedrängt von der technischen Selbstbedienungsmentalität der Internetgeneration erfahren Künstler in ihrer Vertragspraxis aktuell viel zu wenig Schutz durch das Gesetz. Stattdessen sehen sie sich mit dem Diktat kompletter Rechteübertragung 70 Jahre über ihren eigenen Tod hinaus bei oft pauschalisierter Vergütung konfrontiert. Im Filmbereich kommen eine Reihe von Sondereinschränkungen in den §§ 88 ff. UrhG hinzu. Selbst in der vermeintlichen Glitzerbranche Film- und Fernsehen wächst die Gefahr der Prekarisierung durch real sinkende Einnahmen bei Autoren und Regisseuren. Die Altersarmut ist bei Künstlern*innen bereits jetzt überproportional hoch. Sie wird weiter ansteigen, wenn nicht mit einem fairen Urhebervertragsrecht rechtzeitig gegengesteuert wird. Etwa 12.000 Euro beträgt aktuell das Durchschnitteinkommen der in der Künstlersozialkasse versicherten Künstler*innen, die auch unlängst auf der Abschussliste irrlichtender ‚Reformer‘ stand.
Frau Bundeskanzlerin: Handeln Sie jetzt und ändern Sie den Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht ab:
// Verankern Sie den BGH-Rechtsprechungsgrundsatz der Vergütung für j e g l i c h e Nutzung endlich gesetzlich!
// Sorgen Sie für Verbindlichkeit des Schlichtungsergebnisses nach § 36a UrhG als Grundlage für ein geschlossenes System Gemeinsamer Vergütungsregeln! – Definieren Sie durch klare Benennung den passivlegitimierten Werknutzer! Das bedeutet, bei Auftragsproduktionen auch den vertraglich Einfluss nehmenden Dritten zu erfassen!
// Streichen Sie den Vorrang von Tarifverträgen vor Vergütungsregeln aufgrund von § 36 Abs. 1 Satz 3 UrhG!
// Sorgen Sie für klare, durchsetzbare, in Vergütungsregeln durchaus verhandelbare **Auskunftsrechte für Urheber*innen**!
// Gestalten Sie das Verbandsklagerecht so aus, dass der Urheber/die Urheberin tatsächlich anonym bleiben kann und damit vor Blacklisting geschützt wird!
Bereits in der Lobbyarbeit für oder gegen ein faires Urhebervertragsrecht ist die enorme Disparität zwischen Urhebern*innen und Verwertern*innen spürbar geworden. Sie ist Spiegelbild der tatsächlichen Rechtsverhältnisse in der individualvertraglichen Praxis. Gleiche Augenhöhe in den Vertragsbeziehungen ist bisher weder individuell noch kollektivvertraglich gegeben. Der Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht zementiert diese Disparität, obwohl er sich vorgenommen hatte, sie zu verändern.
Dieser offene Brief des BVR wurde von den Vorständen Jobst Oetzmann und Stephan Wagner initiiert, GF Dr. Jürgen Kasten hat ihn ediert, Ehrenpräsident Volker Schlöndorff unterstützt ihn und bringt ihn der Kanzlerin zu Gehör, die gf. Vorstände Peter Carpentier und Alex Schmidt haben kundig gegen gelesen.