Machtmissbrauch ist kein Ausdruck künstlerischer Genialität – was muss die Regie tun?
Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt ist bundesweites Vorbild nicht nur für die Film-, Fernseh- und Theaterbranche
„Die Regie hat die Aufgabe, einen Vertrauensraum zu schaffen“ appellierte Angelina Maccarone in einem Gespräch mit Stephan Karkowsky im Deutschlandfunk-Kultur Anfang 2018. In wenigen beruflichen Feldern sind Grenzüberschreitungen so an der Tagesordnung wie am Set oder auf der Theaterbühne. Damit sind aber solche Grenzüberschreitungen gemeint, die die Schauspieler*innen überwinden müssen, um ihr Innerstes zur Schau zu stellen, um sich spielerisch, intensiv, künstlerisch frei und riskant zu erproben. Sie gehören zum kreativen Ausdruck, zur Farbe des Films oder Theaterstücks. Man könnte meinen, dass es im 21. Jahrhundert keine Diskussion mehr darüber braucht, dass hierfür ein Ort des Vertrauens unabdinglich ist. Dass eine Atmosphäre kreiert werden muss, die diese herausragende Leistung des Schau-Spiels zulässt. Dass Außengrenzen geschützt werden müssen, um innere Grenzen zu überschreiten. Dass ein Team geformt wird, das gemeinsam daran arbeitet, diesen Vertrauensort als Quasi-Festung zu schützen. Und dass es die vordringliche Aufgabe der Regie ist, diese Festung in Wort und Tat anzuleiten, aufzubauen und für sie einzustehen.
#metoo hat gezeigt, wie wenig Festungen es gab und gibt. Die Bewegung brach das ritualisierte Schweigen über sexualisierten, diskriminierenden, belästigenden und gewaltsamen Machtmissbrauch.
Die Film-, Fernseh- und Theaterbranche schloss sich zusammen und gründete Themis – die Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V. (https://themis-vertrauensstelle.de). Themis bietet einen geschützten Raum, in dem sich Betroffene von sexueller Belästigung oder Gewalt anvertrauen können. Als unabhängige und überbetriebliche Vertrauensstelle in der Film-, Fernseh- und Theaterbranche erhalten Betroffene ein Ohr, das zuhört, berät und über die Rechte aufklärt. Bei der Vertrauensstelle können sich nicht nur jene Menschen melden, die aktuell im Film-, Fernseh- oder Bühnenbereich arbeiten, sondern auch, wer dort gearbeitet oder sich gerade beworben hat. „Also auch Personen zum Beispiel, die zu einem Casting gehen, Studenten von Filmhochschulen oder Filmschaffende, die nach der Beendigung eines Projekts auf irgendeiner Filmpremiere von Person X belästigt werden“, erläutert Bernhard Störkmann, Vorstand von Themis. „Die Erfahrung muss im weitesten Sinne im Kontext zu ihrer Tätigkeit stehen.“
Die Hotline von Themis ist unter Tel. 030 23 63 20 20 oder per mail beratung@themis-vertrauensstelle.de zu erreichen. Telefonisch gibt es folgende Sprechzeiten: Mo, Mi, Do 10 – 12 Uhr; Mi, Do: 15 – 17 Uhr. Termine können nach telefonischer Vereinbarung 030 23 63 20 210 oder per mail beratung@themis-vertrauensstelle.de vereinbart werden.
„Das Angebot ist ein Beispiel richtig guter Praxis. Die so umfassend und ganzheitlich ausgestattete Anlaufstelle mit Rechtsberatung und psychischer Beratung ist bundesweit einzigartig. Sie ist extrem wichtig, um Betroffene in schwierigen Situationen sexueller Belästigung oder Diskriminierung im Film zu unterstützen“ so Gewaltforscherin vertr.Prof. Dr. Monika Schröttle.
„Weder Schauspieler*innen noch die Mitarbeiter*innen am Set sind Material. Das ist Arbeitsweise von gestern,“ sagt Barbara Rohm, Vorstand von Themis. Und: „Wir müssen versuchen, die Ursachen anzugehen.“
Machtmissbrauch, von oben verordneter Gruppenterror und Mobbing sind weder Ausdruck künstlerischer Genialität noch Ästhetik. Sie sind Ausdruck von Zerstörung und haben katastrophale Wirkungen. Die Haltung der Regie muss hierzu eindeutig sein: Die Grenzen des Gegenübers sind anzuerkennen, seine Würde ist unantastbar. Leitung heißt Verantwortung übernehmen für eine geschützte, angstfreie, nachhaltige und offene Atmosphäre. Nur in einer solchen kann verbindlich und vertrauensvoll kommuniziert werden. Geniekult war gestern. Augenhöhe ist heute. Das ist Teil des Kulturwandels, für den sich Themis einsetzt. Und dem sich die Regie an erster Stelle verpflichtet fühlen sollte.
Edith Forster
Mai 2019