REGIETAG THEMA 1 - ALTERSDISKRIMINIERUNG

Verbandsnews
Mitschrift vom REGIETAG 26.6.2022 im Literaturhaus München

Referent: Rolf Silber

Angeschoben von ProQuote werden (endlich) mehr Frauen beschäftigt, mittlerweile ca. 30% in den fiktionalen Programmen. Das bekommen die Männer zu spüren. Gleichzeitig setzt bspw. das ZDF aber auch mehr auf den Einsatz von jüngeren Kollegen/innen. Damit sind ältere Regisseure doppelt betroffen, aber nicht nur sie, sondern ebenfalls die älteren Frauen. Über Inhalte und Qualität aber redet niemand und ein ehrlicher Diskurs über diesen strukturellen Wandel fehlt.

 

EINLEITUNG

Rolf Silber: Es gibt Themen, die sind radioaktiv. Dieses ist so eins. Keiner will alt sein, wenige wollen alt werden, alt ist der Kuss des Todes in unserer Branche. Regisseure sind kraftstrotzende Kämpen, Regisseurinnen wirkmächtige Walküren im Kampf mit Teambefindlichkeiten, Drehplänen, jammernden Autoren und schrumpfenden Etats.

Und: Wer ist schon gerne diskriminiert? Diskriminiert klingt so ein wenig nach „behindert“ und wir wollen uns also ungerne bei den Diskriminierten einreihen, weil  das mit unserem Ethos, unserem Selbstbild unvereinbar scheint.

Wir haben in meiner Zeit im Vorstand der Verwertungsgesellschaft Bild Kunst festgestellt, dass es gerade Regisseurinnen und Regisseuren offenbar schwerfällt, Mittel des Sozialfonds zu beantragen. Weil sie so einen Antrag als persönliche Niederlage begreifen. Und ich kann das, bis zu einem gewissen Punkt, sogar verstehen.

Wir haben aus unserer Umfrage unter Mitgliedern entnommen, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen neuerdings von der Altersfrage akuter bedroht fühlen und das plötzlich verstärkt auch durch die Pandemie. Es bleibt zu prüfen, ob diese Wahrnehmung nur subjektives Empfinden ist oder ein strukturelles und relativ neues Problem anzeigt.

Ich habe mich des Themas aus mehreren Gründen angenommen. Einmal bin ich verdammt alt und habe mich, nach einer Karenzzeit, zähneknirschend damit abgefunden, dass ich als „alter, weißer Mann“ wohl endgültig raus bin.

Das ist natürlich ein großer Mist, hat aber auch den Vorteil, dass ich, auch öffentlich, auch hier, Sachen sagen darf, die andere, also ihr, vielleicht nicht sagen wollt oder dürft, weil ihr noch in der Branche aktiv seid oder aktiv sein möchtet.

Ihr dürft also auf keinen Fall radioaktiv sein. Also alt. Aber ich kann strahlen wie ein durchgebrannter Reaktor und wen das stört, dem zeige ich meinen Brennstab. Figurativ gesprochen. Also bin ich heute Waldorf und Stadler zugleich. Motto: Wer sich selbst rausschmeißt, kann nicht mehr rausfliegen.

Das Thema „Altersdiskriminierung“ möchte ich gerne von mindestens mehreren Seiten betrachtet wissen. Kurz nachdem die Dinosaurier ausgestorben sind, habe ich mal mit einigen filmvernarrten Hitzköpfen, den weitgerühmten „Verband Deutscher Nachwuchsfilm“ gegründet, von dem hier wahrscheinlich noch nie jemand gehört hat. Zu Recht.

Wir waren aber damals, so Ende der 70er Jahre, der Ansicht, die alten Säcke und Säckinnen des nicht mehr so jungen deutschen Films gehörten jetzt mal von der Leinwand geputzt. Hätten wir unser Ziel erreicht, Filme wie „Mephisto“, „Fitzcarraldo oder „Heimat“ hätten vielleicht nie das Licht der Projektionslampe erblickt.

In mir schlummert also noch so ein Restverständnis für junge Kolleginnen und Kollegen, die reinwollen in den eventuell „closed shop“ des Filmschaffens und die ihre virtuelle „Elterngeneration“ aus dem Weg haben möchten.

Den Jungen kommt derzeit entgegen, dass die Branche – noch – dreht bis der Arzt kommt und angeblich bei den Sendern die Devise ausgegeben wurde: „Bring mir wen, der unter Dreißig ist und möglichst Frau“, weil das der Ruf der Stunde sei.

Gleichzeitig kommen bei uns verstärkt Meldungen, dass jüngeren Kolleginnen und Kollegen Vertrags- und Drehbedingungen präsentiert werden, die man Älteren nicht vorzulegen gewagt hätte. Und wir fragen uns, ob da Zusammenhänge bestehen.

Wenn Kalkulatoren Produzenten schon mal vorschlagen, man könne doch Berufsanfänger beschäftigen, denen man einfach sagt, was sie machen sollen und die machen das dann schon und sie kosten weniger und man spare zwei Drehtage – dann fragt man sich, ob nicht auch so eine Haltung Ursache für eine Nichtbeschäftigung älterer, erfahrener Kollegen und Kolleginnen sein könnte.

Das mag eine Ausnahme sein, aber es macht hellhörig, schon deshalb, weil der objektive Kostendruck auf Produzenten ja nicht geringer wird in der Zukunft – um von der gerade einsetzenden Inflation zu schweigen – ob sie sich damit allerdings einen Gefallen tun würden, wäre zu klären.

Wobei junge Frauen zu Recht darauf verweisen – und über die Genderstudie untermauern – dass ihr Anteil am Filmgeschehen immer noch zu gering sei. Andererseits spüren Frauen, die sich einer Altersgrenze annähern, die beständig zu sinken scheint, dass sie überraschend ebenfalls vom Verdikt „alt“ getroffen werden und sich ihre berufliche Perspektive dadurch extrem verengt.

„Alt“ wird man heute ja schon mit 50, wenn nicht früher. Ein Alter also, das mal eines war, wo man von Regisseurinnen und Regisseuren Filme erwartete, die künstlerisch wie handwerklich einer „peak time“ ihrer Fähigkeit und Erfahrung entsprangen.

Auch wenn das an vielen Punkten für viele Beteiligte sehr existentiell ist, weil - manchmal über Nacht - Karrieren und damit Existenzen vernichtet werden, müssen wir uns möglichst sachlich damit auseinandersetzen.

Natürlich gibt es die Genderdebatte, aber die Probleme, die sich im radioaktiven Feld der tatsächlichen, wie nur vermuteten „Altersdiskriminierung“, verstecken, gehen ja weit darüber hinaus. Material auch dazu findet sich im neuesten Diversitätsbericht.

Einerseits betrifft es also die Profession selbst und die Perspektive auf ein echtes Arbeitsleben, die sich eröffnen sollte, für Menschen, die sich freiwillig in eine heikle und dynamische berufliche Selbständigkeit wagen, von der sie wissen konnten, dass es keine wirkliche Beschäftigungsgarantie oder gar einen Pensionsplan gibt.

Ach ja: Wer übrigens noch nicht in der Pensionskasse der Rundfunkanstalten angemeldet ist, sollte das, unter Drohung einer von mir zu verabreichenden Prügelstrafe, bitte unbedingt tun und nicht so doof sein, wie ich es war. Danke.

Mir hat mal vor vielen Jahren ein älterer, nicht unerfolgreicher aber auch nicht wirklich bekannter Maler und früherer recht erfolgreicher Jazz-Gitarrist, den schönen und einfachen Satz gesagt: „Every person who makes a living from their creativity deserves every respect.“

Zu so einem Respekt gehört, wenigstens für mich, dass man Menschen unseres Schlages, nicht einfach aussteuert. Respekt ist für uns eine ziemlich konkrete Währung. Und nicht selten die wichtigste. Aber von irgendwas leben wäre auch nicht schlecht.

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir es seit Jahren, angeblich, mit einer Regie-Schwemme zu tun haben, weil auf vielen Schulen sehr viele Leute für diesen Beruf – und das gar nicht schlecht – ausgebildet werden. Eventuell, nur mal so gefragt, auch schlichtweg zu viele?

In den letzten Jahren scheint, mir zumindest, auch durch meine Erfahrung als ehemaliger Teilhaber von zwei Filmproduktionsfirmen, die Zahl derjenigen zu steigen, die ähnlich wie im Musikgeschäft, „one hit wonder“ sind oder schon nach wenigen Filmen vom Karussell fallen und nicht mehr zurückfinden.

Da deren Zahl – angeblich – auch zuzunehmen scheint – was zu überprüfen wäre –  heißt das dann aber trotzdem, dass die wenigen Regiestühle besetzt sind. Für Menschen, die es gewohnt sind, wenigstens im Fernsehbereich, einigermaßen kontinuierlich zu arbeiten, wird es also noch enger.

Erfahrung wird dann eventuell nicht mehr erfahrbar – was die Filme vielleicht nicht unbedingt besser macht. Kann sich aber eine Branche, die in einem so komplexen Gebiet wie der Filmherstellung unterwegs ist, sowas leisten?

Wir haben unter unseren Kolleginnen und Kollegen eine Umfrage gemacht, anonym, die zu sehr disparaten Ergebnissen geführt hat, die aber trotzdem die erwähnten Tendenzen zu zeigen scheinen.

Eine davon ist auch, dass sich manche, wenige, vor Aufträgen kaum retten können, während andere regelrecht knallharte Karriereabrisse erleben. Da fliegen Lebensmodelle ziemlich brutal auseinander.

Natürlich gibt es für Letzteres immer auch andere Gründe. Nach definitiver Aufforderung durch einen Menschen, der sehr hoch in der Hierarchie eines hochgelegenen Senders saß, doch bitte, bitte, bitte etwas anders und ungewöhnlicher zu besetzen, habe ich mal den Fehler gemacht, genau das zu tun.

Was mir dann bei diesem Sender viele Jahre Sendeverbot einbrachte, weil die Person inzwischen ihre Meinung geändert, aber vergessen hatte, dies mir und meiner Produktionsfirma, ja unserem Redakteur mitzuteilen.

Das war dann keine Altersdiskriminierung, sondern das, was vielen von uns sowieso immer passieren kann. Und passiert. Aber: Egal was der Grund ist, sowas haut richtig rein.

Aber es passierte bei mir zu einer Lebenszeit, in der man sich der Gefahr bewusst wird, dass sowieso ein Fehler reicht und man raus sein kann, weil so viele in der Tür stehen. Man schnell zur einer „quantité négligeable“ zu werden. Not nice.

Wir müssen dann auch über schrumpfende persönliche Verbindung wie Verbindlichkeit in einer Branche reden, die einen irrwitzigen Personaldurchsatz, gerade auch auf der „Verwerterseite“ hat, der Menschen mit dem angeblich falschen Lebensalter noch schneller vom Fahrgeschäft katapultieren kann.

Ein Verband kann dabei nicht sehr viel mehr tun, als ein Thema aufs Tablett zu heben. Ein Verband kann dir keinen Job besorgen, er kann nur helfen, Rahmenbedingungen zu beschützen, in denen dein Beruf stattfindet. Und fairerweise sei erwähnt, dass es bereits Produktionsfirmen wie Sender zu geben scheint, die sich des Themas annehmen. Wie konsequent, bleibt zu fragen. Hier. Heute.

Ich ende mit einem persönlichen Aspekt: Vor vielen Jahren habe ich mich, auf der Heimfahrt von einem sehr späten Discobesuch, sehr gegrämt und dem befreundeten Filmkomponisten, der an meinem ersten Film mit mir arbeitete, gestanden, dass ich so hundeblöde war, einer sehr attraktiven Frau auf der Tanzfläche zu erzählen, dass ich Regisseur sei.

Was ich das angeberisch und aufgeblasen von mir fand. Die Frau hat’s mir in den letzten vierzig Jahren nicht für krummgenommen, zum Glück. Aber: Ich hatte mir eigentlich geschworenen, mich Regisseur erst nach meinem dritten Film zu nennen. Ab dann aber immer.

Ich war auch noch Regisseur, als ich jahrelang kaltgestellt wurde. Ich bin auch noch heute Regisseur. Ich werde als Regisseur – na gut: und Autor, zugegeben – ins Grab springen.

Wir sind Regisseurinnen und Regisseure, auch wenn wir wie Kapitäne in der Hafenkneipe sitzen und hoffen es gäbe noch ein Schiff für uns und uns dabei erzählen, wer welchen Hein Blöd an Bord oder als Reeder hatte.

Wir sind Regie. Und bleiben es. Und gehören deshalb auch dann in diesen Verband. Oder gerade.

 

Eine Zusammenfassung finden Sie in dem Artikel vom 27.06.2022 in der FAZ , geschrieben von Jörg Seewald: "Regisseure rebellieren : Mit 50 bist du zu alt"